Der Weg zur künstlichen Befruchtung – Geschichte der Reproduktionsmedizin

Erwarten Paare ein Kind, sind nicht nur die werdenden Eltern in heller Aufregung und freudiger Erwartung angesichts der nahenden Geburt. Auch Familien und Freunde fiebern regelmäßig mit und manchmal verfolgt sogar die ganze Welt eine Schwangerschaft. So war es im Sommer 1978 bei der kleinen Louise Joy Brown aus England, denn sie war das erste durch künstliche Befruchtung gezeugte Kind der Welt. 

 

Von einer medizinischen Sensation zur Normalität 

Ihre Geburt per Kaiserschnitt wurde zur medizinischen Sensation. Endlich war es Ärzten möglich geworden, Paaren, die ungewollt kinderlos blieben, doch noch ihren sehnlichsten Wunsch zu erfüllen. Und wie viele davon betroffen sind, zeigt eine beeindruckende Zahl: Als Louise Joy Brown 2018 ihren 40. Geburtstag feierte, lebten schon circa fünf Millionen weitere Menschen auf der ganzen Welt, die wie sie nach einer künstlichen Befruchtung geboren wurden.  In den späten Siebzigern sollte es knapp ein Jahr dauern, bis ein zweites Kind nach einer Befruchtung außerhalb des Mutterleibs das Licht der Welt erblickte. Heute sind es pro Jahr europaweit über 150.000 und allein in Österreich jährlich über 3.000 Babys. Die künstliche – oder besser extrakorporale – Befruchtung ist damit längst alltäglich geworden und immer mehr Ärzte oder Kliniken erfüllen so sehnliche Kinderwünsche.   

 

Der lange Weg zur ersten erfolgreichen extrakorporalen Befruchtung 

Schon in den 1950ern begann der Physiologe Robert Edwards in England nach Wegen zu suchen, die Eizellen einer Frau außerhalb ihres Körpers befruchten zu können. Bald sollte der Gynäkologe Patrick Steptoe ihn dabei unterstützen. Gemeinsam versuchten sie, entnommene Eizellen außerhalb des weiblichen Körpers in einem Reagenzglas zu befruchten.  Dabei war ihr Weg der In-vitro-Fertilisation (lateinisch für „Befruchtung im Glas") lange von Misserfolgen bestimmt. Erst 1969 konnten sie eine erfolgreiche Befruchtung beobachten. Sie forschten weiter und begannen ab 1972, befruchtete Eizellen mit Embryonen wieder in den Mutterleib einzusetzen. Zunächst kam es jedoch nicht zu einer Schwangerschaft.  Die beiden Mediziner mussten noch bis 1976 warten, bis sie bei ihrer Arbeit mit einer Eileiterschwangerschaft zumindest einen kleinen Durchbruch erreichten. Aber Edwards und Steptoe waren auf dem richtigen Weg. Nur ein Jahr später begann der Embryo von Louise Joy Brown, zu einem gesunden Baby heranzuwachsen.  Mit ihrer erfolgreichen Fruchtbarkeitsbehandlung haben Robert Edwards und Patrick Steptoe die Medizin und besonders die menschliche Fortpflanzung für immer verändert. Steptoe verstarb 1988 und konnte nur noch kurz erleben, wie seine Arbeit und Forschung immer mehr Paaren zu ihrem Wunschkind verhalf. Sein Partner Robert Edwards lebte bis 2013 und erhielt 2010 mit dem Nobelpreis für Medizin schließlich auch die höchste Anerkennung für die Entwicklung der In-vitro-Fertilisation (IVF).   

 

Weitere Entwicklungen zur Erfüllung eines Kinderwunsches 

Die klassische In-vitro-Befruchtung nach Edwards und Steptoe brachte Eizellen und Spermien fast wie bei einer natürlichen Befruchtung zusammen – nur eben in einem Reagenzglas. Es sind vor allem die gesunden, mobilen Spermien, die dabei für eine Befruchtung sorgen. Häufig fehlt es den Spermien aber an dieser Qualität oder die Spermienanzahl ist sehr niedrig und damit sinken auch die Erfolgsraten dieser Fruchtbarkeitsbehandlung.  Im Verlauf der Neunzigerjahre erzielte die Reproduktionsmedizin dann auch hier einen Durchbruch: Dabei wurden einzelne Spermien nun mit einer Pipette direkt in Eizellen eingebracht, um die Chancen auf eine Befruchtung zu maximieren. Diese sogenannte Intracytoplasmatischen Spermieninjektion (ICSI) entwickelte sich danach sogar noch einmal weiter.  Und so können heute auch unfruchtbare Männer, deren Ejakulat überhaupt keine Samenzellen mehr enthält, mit einer künstlichen Befruchtung ein Kind zeugen. Dazu werden ihnen dann operativ Samenzellen aus den Nebenhoden oder dem Hodengewebe für die Befruchtung entnommen.  Außerdem haben sich inzwischen einige Variationen der IVF etabliert, bei denen der Versuch einer Eizellenbefruchtung sogar teilweise wieder im Körper der Frau unternommen wird. Damit verfügen spezialisierte Ärzte oder Kliniken heute über eine breite Auswahl an Optionen, um immer mehr Paare zu glücklichen Eltern eines Kindes zu machen.