Erkenntnisse zur Manneskraft: Eine Studie deckt auf

Theoretisch produziert der männliche Körper täglich Millionen an Spermien, die eine weibliche Eizelle befruchten können. Allerdings liegen zwischen Theorie und Praxis oft Welten, wie auch die sogenannte Schweizer Samenstudie belegt. Erstmals hat sie nämlich die Manneskraft auf nationaler Ebene unter die Lupe genommen und herausgefunden, dass die Spermienzahl der Männer in den letzten fünf Jahrzehnten stetig zurückgegangen ist. Die Gründe sind komplex. Alles deutet aber daraufhin, dass Faktoren wie die Umwelt und der eigene Lebensstil (Ernährung, Stress, …) starken Einfluss nehmen. Gleichzeitig ist in der Studie eine überaus beruhigende Message verpackt. Denn wenn Mann nicht kann, ist das bei Weitem kein Einzelschicksal, im Gegenteil!

Was wurde untersucht?

Für die Schweizer Samenstudie hat die Universität in Genf erstmals eine landesweite Querschnittsuntersuchung mit 2.523 jungen Männern aus allen Schweizer Regionen durchgeführt. Analysiert wurden dabei Spermienvolumen und -konzentration, die Beweglichkeit (Motilität) und das Aussehen (Morphologie) ihrer Spermien. Gleichzeit wurde auch die Anatomie des Genitalbereichs und des Hodenvolumens erfasst. Um ihren Wissensstand zu erweitern, zogen die Forscher zusätzlich die Neuerkrankungsrate von Hodenkrebs in der Allgemeinbevölkerung der Schweiz hinzu.

Wie sah der Ablauf der Studie aus?

Durchgeführt wurde sie von September 2005 bis Juni 2017. Mehr als 2.500 eingezogene, wehrpflichtige Männer im Alter zwischen 18 und 22 Jahren nahmen an ihr teil. Sie alle erhielten zwei Fragebögen, einen für sich selbst und einen für ihre Eltern. Die Studienteilnehmer selbst mussten Fragen zu ihrem allgemeinen Gesundheitszustand, ihrem Lebensstil, ihrer Ernährung, ihrer Bildung und auch in Bezug auf ihr Urogenitalsystem – also ihren Harn- und Geschlechtsapparat – beantworten. Ihre Mütter hingegen lieferten Informationen, die sich auf den Zeitraum der Empfängnis, die Schwangerschaft und die Geburt des Studienteilnehmers konzentrierten.

Um die Entwicklung des männlichen Spermas zu analysieren, muss die Qualität bewertet werden. Wie funktioniert das überhaupt?

Spezialisten beurteilen die Fruchtbarkeit des Mannes anhand der Samendichte im Ejakulat. Erst 2010 legte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) neue Richtwerte für die Spermienqualität fest. Als Referenzwert gilt seither eine Spermienzahl von 39 Millionen pro Ejakulat oder eine Konzentration von 15 Millionen Spermien je Milliliter Ejakulat. Diese Einteilung wurde auch für die Schweizer Samenstudie herangezogen. Für die Auswertung wurden die Männer in drei Gruppen eingeteilt:

  1. Gruppe: < 15 Mio./ml Spermienkonzentration
  2. Gruppe: 15-40 Mio./ml Spermienkonzentration
  3. Gruppe: > 40 Mio./ml Spermienkonzentration

Auffallend war, dass in der 1. Gruppe viele Mütter während der Schwangerschaft zur Zigarette griffen. Außerdem gaben einige Männer aus dieser Gruppe an, eine diagnostizierte Reproduktionsstörung zu haben.

Was besagen die Ergebnisse nun im Detail?

Die Mehrheit der Studienteilnehmer war gesund, hatte ein hohes Bildungsniveau und keinerlei Vorkenntnisse über den Status ihrer Fruchtbarkeit. Im Zuge der Untersuchung stellte sich aber heraus, dass bei 62 Prozent der Teilnehmer mindestens ein Spermienparameter unter den von der WHO vorgegebenen Werten lag. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass ein signifikanter Anteil der jungen Schweizer Männer keine optimale Samenqualität besitzt. In der Studie wiesen überhaupt nur 38 Prozent der Teilnehmer Spermienwerte auf, die den WHO-Referenzkriterien entsprechen. Außerdem wurde herausgefunden, dass die angepasste mittlere Spermienkonzentration (48 Mio./ml) in der Schweiz zu den niedrigsten in ganz Europa gehört. Zusätzlich wurde auch das Auftreten von Hodenkrebs in der Schweizer Allgemeinbevölkerung betrachtet, das in den letzten 35 Jahren stetig zugenommen hat. Waren es im Jahr 1980 noch 7,6 Fälle pro 100.000 Einwohner, stieg es 2014 auf 10,4 Fälle.

Welche Botschaft sollten sich gerade Männer merken?

Ist Mann in seiner Fruchtbarkeit eingeschränkt und der Kinderwunsch bleibt unerfüllt, hat das nicht zuletzt auch Auswirkungen auf die Psyche. Kein Wunder, denn natürlich stellt Mann sich die Frage nach dem „Warum?“. Gedanken wie „Warum gerade ich?“, „Was habe ich falsch gemacht?“ und „Was stimmt mit mir nicht?“ sind die Folge und führen häufig zu einer enormen psychologischen Belastung. Gerade in einer solchen Situation hilft die Schweizer Samenstudie, denn ihre Message ist eindeutig: Männern mit eingeschränkter Fruchtbarkeit zeigt sie, dass sie nicht alleine und vor allem kein Ausnahmefall sind! Immerhin wird wissenschaftlich belegt, dass sich die Spermienqualität der Männer im Allgemeinen verschlechtert und gerade in den letzten Jahren gravierend gesunken ist. Deshalb sind immer mehr Väter in spe auf die Hilfe von Kinderwunsch-Kliniken angewiesen.  

Wer sich aus der Schweizer Samenstudie Tipps für den eigenen Alltag erhofft hat, muss sich gedulden. Denn um konkrete Aussagen über die Auswirkungen von Umwelt und Lebensstil auf die Manneskraft machen zu können, sind weitere Studien erforderlich. Für alle, die es ganz genau wissen wollen, sei hier noch der vollständige Titel der Studie erwähnt: „Semen quality of young men in Switzerland: a nationwide cross sectional population-based study”. Sie wurde im November 2019 in der Fachzeitschrift ANDROLOGY veröffentlicht.