Bioidentische Hormone und Kinderwunsch: Chancen, Missverständnisse und die Bedeutung von Fachwissen

Bioidentische – oder fachlich korrekt: bioidente – Hormone erfreuen sich wachsender Beliebtheit, insbesondere bei Paaren mit Kinderwunsch. Da sie in ihrer Struktur den körpereigenen Hormonen identisch sind, gelten sie als natürliche Alternative zu synthetischen Präparaten. Doch können bioidente Hormone tatsächlich die Fruchtbarkeit steigern und die Chance auf eine Schwangerschaft erhöhen?




Viele Kinderwunschpatienten setzen große Hoffnungen in bioidente Hormone. Sie gelten als „natürlicher“ und damit nicht nur als verträglicher, sondern auch als potenziell förderlich für die Fruchtbarkeit. Tatsächlich berichten sowohl Ärzte als auch Patienten von positiven Effekten wie einer stabileren Zyklusregelmäßigkeit oder einem gesteigerten Wohlbefinden. Allerdings bedeutet dies nicht automatisch eine höhere Chance auf eine Schwangerschaft. Ein genauer Blick auf die wissenschaftlichen Erkenntnisse zeigt, dass die Realität weitaus komplexer ist.

Was sind „bioidentische Hormone“?

Als „bioidentische“ bzw. „bioidente“ Hormone werden Substanzen bezeichnet, die in ihrer chemischen Struktur weitgehend identisch mit den Hormonen sind, die unser Körper selbst produziert (körpereigene Hormone).

Die Bezeichnung „BIO“ soll darauf hinweisen, dass diese Hormone aus pflanzlichen Stoffen hergestellt werden, meist aus Extrakten der Yamswurzel oder der Sojabohne. Dennoch gilt es zu bedenken, dass bis zu 15 laborchemische Prozesse nötig sind, um aus der Yamswurzel diese Hormone zu synthetisieren.

Seit der Veröffentlichung der Women’s Health Initiative (WHI)-Studie im Jahr 2002 werden bioidente Hormone vermehrt zur Behandlung verschiedener hormoneller Probleme in der Gynäkologie, vorwiegend als Hormonersatztherapie bei Frauen mit Wechselbeschwerden oder als Anti-Aging-Konzept eingesetzt.

Im Wesentlichen soll damit ein Hormonmangel durch den eingetretenen Wechsel (Klimakterium) ausgeglichen werden.

Doch nicht nur in der Menopausen-Therapie finden sie Anwendung: Immer mehr Paare mit Kinderwunsch setzen auf bioidente Hormone in der Hoffnung, ihre Fruchtbarkeit zu steigern.

In diesem Artikel konzentrieren wir uns nicht auf den Einsatz bioidenter Hormone in den Wechseljahren, sondern auf ihre potenzielle Wirkung bei Kinderwunsch. Zudem verwenden wir im weiteren Verlauf die fachlich korrekte Bezeichnung „bioident“.

Bioidente Hormone bei Kinderwunsch


Leider werden diese Präparate zunehmend für Paare verwendet, welche unerfüllten Kinderwunsch haben. Speziell für diesen Bereich gibt es allerdings keinerlei wissenschaftlich anerkannte Studien, welche einen Vorteil dieser Hormonpräparate gegenüber der konventionellen Kinderwunsch-Therapie – wie Hormonbehandlung oder künstliche Befruchtung – in einer Fachklinik beweisen könnten.

Kritik: „Natürlich“ ist nicht gleich „ungefährlich“


Das Wort „bioident“ klingt zunächst beruhigend. Viele Menschen gehen davon aus, dass diese Hormone sicherer sind als synthetische Alternativen. Doch sowohl bioidente als auch synthetische Hormone sind hochpotente Substanzen, die tiefgreifende physiologische Prozesse beeinflussen können.

Ihre unkritische oder falsche Anwendung birgt erhebliche Risiken. Zum Beispiel könnten solche Hormone Einfluss auf die Gerinnung haben und somit das Thromboserisiko erhöhen, auch der Einfluss auf Hormonerkrankungen, wie PCO -Syndrom und Endometriose ist keineswegs ausreichend erforscht. Nicht bekannt ist auch der Einfluss auf die Schleimhaut der Gebärmutter bezüglich der Entstehung von Polypen, Adenomyose und Adenomyose.

Eine potenzielle Gefahr bei der Verschreibung bioidenter Hormone besteht auch darin, dass einige Therapeuten ihnen aufgrund des ‚Bio‘-Labels eine höhere Unbedenklichkeit zuschreiben. Während sie bei synthetischen Hormonen mit einer gewissen Zurückhaltung verordnen, könnte bei bioidenten Hormonen diese Vorsicht nachlassen. Dies könnte dazu führen, dass mögliche Risiken unterschätzt und Nebenwirkungen weniger kritisch hinterfragt werden.

 Studien zeigen, dass es keine ausreichende Evidenz dafür gibt, dass bioidente Hormone tatsächlich sicherer oder effektiver sind als herkömmliche Alternativen.

Zyklusregelmäßigkeit: Kein verlässlicher Indikator für Fruchtbarkeit


Viele Ärzte argumentieren, dass bioidente Hormone dazu beitragen können, die Zyklusregelmäßigkeit wiederherzustellen – ein Aspekt, der von Patienten oft als Zeichen gesteigerter Fruchtbarkeit interpretiert wird. Doch dies ist ein weit verbreitetes Missverständnis. Ein regelmäßiger Menstruationszyklus ist zwar ein gutes Zeichen für hormonelle Stabilität, garantiert jedoch nicht, dass der Eisprung korrekt oder effizient stattfindet, oder dass die optimalen Rahmenbedingungen für eine Einnistung und Entwicklung des Embryos gegeben sind.

Tatsächlich können anovulatorische Zyklen – also Monate, in denen kein Eisprung stattfindet – auch bei regelmäßig eintretenden Menstruationsblutungen auftreten. Solche Zyklen machen eine Schwangerschaft unmöglich, unabhängig davon, wie „normal“ der Zyklus erscheint.

Subjektive Verbesserungen: Wohlbefinden versus Fruchtbarkeit


Hormontherapien, ob mit herkömmlichen oder bioidenten Hormonen, werden oft mit positiven Effekten wie besserer Hauttextur, einem gesteigerten Energielevel oder einem allgemeinen Wohlbefinden assoziiert. Auch wenn du dich durch die Einnahme dieser Hormone wohler fühlst, ist das leider kein direkter Hinweis auf eine gesteigerte Fruchtbarkeit. Diese Hormontherapien spiegeln meist eine Angleichung der Hormonspiegel an „normalisierte“ Werte wider, haben jedoch keinen unmittelbaren Einfluss auf die grundlegenden Abläufe, welche für die Entstehung einer Schwangerschaft nötig sind.

Fruchtbarkeit ist mehr als nur Hormone


Die Fähigkeit, schwanger zu werden, ist das Ergebnis eines hochkomplexen Zusammenspiels zahlreicher Faktoren. Neben einem hormonellen Gleichgewicht sind die folgenden Aspekte entscheidend:

  • Eizellqualität: Selbst bei regelmäßigen Zyklen können Eizellen von schlechter Qualität sein, was die Chancen auf eine erfolgreiche Befruchtung und Einnistung verringert und das Fehlgeburten- und Missbildungsrisiko erhöht.
  • Gebärmutterschleimhaut: Die Fähigkeit der Schleimhaut, eine befruchtete Eizelle aufzunehmen, ist sehr komplex.
  • Eileiter: Blockaden oder andere anatomische Probleme der Eileiter können die Befruchtung verhindern.
  • Immunologische und genetische Faktoren: Diese können Schwangerschaftsverluste oder Implantationsprobleme verursachen. Hormone beeinflussen in hohem Maße das immunologische Geschehen in der Gebärmutter. Ein Embryo ist aufgrund der genetischen Anteile des Mannes immer ein Fremdkörper für den weiblichen Organismus. Damit dieser „Fremdkörper“ nicht abgestoßen wird, laufen hoch komplizierte immunologische Prozesse ab, die die Einnistung erlauben.

Studien zeigen, dass selbst bei scheinbar „normalen“ Hormonspiegeln viele dieser Faktoren unbeachtet bleiben und die tatsächliche Fruchtbarkeit einschränken können.

Ein besonders kritisch zu betrachtender Trend ist die Praxis, Hormongaben anhand von Mundspeichelmessungen individuell anzupassen. Diese Methode weist erhebliche methodische Schwächen auf. Zum einen gibt es keine standardisierten Protokolle für die Entnahme und Analyse von Speichelproben, insbesondere im Kontext des weiblichen Zyklus.

Zum anderen spiegelt die Hormonkonzentration im Speichel nicht zuverlässig die hormonelle Situation im Blut oder Gewebe wider, die für die Fruchtbarkeit entscheidend ist. Studien fehlen bislang, um die Aussagekraft von Mundspeichelmessungen in diesem spezifischen Zusammenhang zu validieren. Daher ist diese Praxis wissenschaftlich nicht fundiert und birgt das Risiko einer falschen Dosierung, die sowohl die Fruchtbarkeit als auch die allgemeine Gesundheit negativ beeinflussen könnte.

Warum Fachwissen entscheidend ist



Die Beurteilung und Behandlung von Fruchtbarkeitsproblemen erfordern weit mehr als eine bloße Korrektur von Hormonspiegeln. Meistens verfügen nur spezialisierte Endokrinologen und Reproduktionsmediziner über die notwendige Expertise, um mit detaillierter Diagnostik (z. B. Ultraschall, Blutanalysen, genetische Tests) die wahren Ursachen für den unerfüllten Kinderwunsch zu identifizieren und gezielte Therapien zu entwickeln.

Falsch eingesetzte Hormone können nicht nur unwirksam sein, sondern auch Risiken wie eine erhöhte Rate von Fehlgeburten oder langfristige Gesundheitsprobleme für Mutter und Kind mit sich bringen.

Fazit: Vorsicht bei der Verwendung von bioidenten Hormonen


Die Verbesserung von Zyklusregelmäßigkeit oder Wohlbefinden durch bioidente Hormone ist kein verlässlicher Indikator für eine gesteigerte Fruchtbarkeit. Die Prozesse, die zur Entstehung einer Schwangerschaft führen, sind hochkomplex und erfordern eine ganzheitliche Betrachtung aller relevanten Faktoren.

Zudem bedeutet „Bio“ nicht „ungefährlich“. Nur spezialisierte Fachkräfte können die richtigen Entscheidungen treffen, um die besten Ergebnisse für Kinderwunschpatienten zu erzielen. Lasst euch bei der Kinderwunschbehandlung unbedingt von Experten begleiten – denn es geht nicht nur um Hormone, sondern um das präzise Zusammenspiel von Körper, Medizin und Wissenschaft.

Gut zu wissen